#3 Raue Werften

"Nur wer sich die Hände schmutzig macht, lernt sein Geschäft von der Pike auf" 

Knecht_218

3.2. Neu bei Scrapper

Hurston, Lorville, August 2942

„Hey Piccard! Träumen Sie etwa?“

Ich zuckte verdutzt zusammen. Ich wurde schon ewig nicht mehr mit meinem Nachnamen angesprochen. Langsam klärte sich mein Blick. Um mich herum war der Lärm einer Werft zu hören. Ich erwischte mich, wie ich verträumt den Arbeitern zusah.

Also eher mein 15-jähriges Ich, denn ich stand hier gerade in der Werft, wo ich nach meiner Schule im Alter von 15 Jahren meine Ausbildung begann. „Piccard! Nun mach schon, hier unterschreiben! Oder hast Du vergessen, wie das geht?“ Mr. Scar schnipste genervt mit den Fingern und fuchtelte mit seinem Stift vor meinem Gesicht. Ich unterschrieb fix auf dem Tablet. „Nun begrüße ich Sie recht herzlich als neuen Mitarbeiter meiner Werft. Die Scrapper  ist eine der besten Werften auf Hurston und wir sind stolz, dass wir speziell von Anvil Aerospace dafür beauftragt wurden ihre Schiffe zu reparieren und umzubauen." Er machte eine kurze Pause.

"... wir schaffen es, viele unserer Teile aus ehemaligem Schrott selbst herzustellen. So können wir fast alles fertigen, was unsere Kunden wollen“, schloss Mr. Scar.

 

Ich freute mich riesig und konnte es kaum erwarten, meine Erfahrungen durch die Bastelstunden mit meinem Vater, effektiv in den Bau eines meiner Lieblingsschiffe fließen zu lassen. 

„Also kann ich dich echt nicht umstimmen? Du willst lieber im Dreck dieser Werft schuften, obwohl du in einer von Origins Spitzen-Fertigungshallen lernen könntest? Origin hat auch viele coole Schiffe, die ihre Crew immer sicher durchs All bringen. Komm schon, überleg es dir doch noch einmal“,

 

Mein Vater sah mich halb genervt, halb verwundert an,  als ich ihm von meinem Vertrag mit Scrapper berichtete. Begeisterung sah anders aus. Aber wer konnte es ihm verübeln? Ich, sein Sohn, der Sohn eines geschätzten Ingenieurs von Origin Jumpworks, weigerte sich in die Fußspuren seines Vaters zu treten und begann stattdessen lieber ein schlecht bezahltes Leben in einer dreckigen, lauten und unzivilisierten Werft. Dort, wo angeblich nur Tagelöhner, Streuner und Gesindel schufteten und sich ausbeuten ließen. Doch ich wollte nur eines und endlich würde sich dieser Traum erfüllen - endlich würde ich an einer echten Carrack arbeiten können. Einem echten Raumschiff. Nicht nur an Daddys Speeder oder an Alltagshelfern wie einem Reinigungs-Roboter. Nein ein Raumschiff, das den Strapazen des Weltraums standhalten und seine Crew beschützen muss und in die entlegensten Galaxien vordringen wird. Wer weiß, was das Schiff, an dem ich bauen werde, alles erleben würde? 

 

Diese Vorstellung war schön und gut. Voller Energie und mit meinem ersten Lohnvorschuss ging ich zu "Tammany and Son’s" um mir meine Arbeitskleidung zu kaufen. Erst nach einem halben Jahr würde Scrapper mir meine Arbeitskleidung stellen, sollte ich so lange durchhalten. Denn die Erfahrung zeigte, dass nur wenige die ersten Wochen blieben. Viele kündigten bereits nach kürzester Zeit, doch Scrapper war die einzige Werft auf Hurston, die hauptsächlich mit Anvile zusammenarbeiteten und somit meine einzige Chance endlich an meinem Traumschiff arbeiten zu können. Mr. Scar konnte es kaum glauben, als ich mich bewarb, hielt es anfangs sogar für einen schlechten Scherz. Und doch war er heil froh, als ich meinen Vertrag unterschrieb, dass er mir bereitwillig einen Lohnvorschuss gab, um mich einzukleiden und mir eine adäquate Bleibe in Lorville zu organisieren. Mit bequemen und zugleich robusten Sachen ging ich zurück an die Arbeit.

Toller Arbeit, wie sich schnell zeigen sollte …

Anstatt an einer Carrack zu arbeiten, zeigte man mir nämlich, wie ein Schaufler, eine Art Bagger, bedient wird und ich durfte Schrotteile, welche frisch angeliefert wurden, zu den Wühlern bringen. Diese Maschinen und deren Arbeiter sortieren anschließend die gelieferten Schrotteile um sie entsprechend weiter zu verarbeiten. Meine Motivation fand ein rapides Ende. 

Wenn mal keine neuen Lieferungen kamen, durfte ich mit meinem Schaufler auf der anderen Seite der Wühler arbeiten und die Metalle, welche die Maschinen nicht sortiert bekamen und stattdessen die Mitarbeiter sortierten, in die jeweiligen Brennöfen laden. Die maschinellen Wühler waren zwar über Fließbänder mit den Öfen verbunden. 

 

Die Mitarbeiter, die die Kleinteile oder Teile, welche die Maschinen nicht zuordnen konnten, sortieren mussten, warfen ihre Teile nur auf entsprechende Haufen, welche ich anschließend zu den Öfen fahren musste. Ungeschützt wäre es in der Nähe dieser Ofen viel zu heiß für Menschen, aber selbst die kleine Kanzel des Schauflers kam mir eher wie ein Pizzaofen vor. 


Eines Tages, ich war wieder dabei Schrott in einen der Brennöfen zu werfen, stockte plötzlich mein Schaufler. Irgendwas schien ihn zu blockieren, denn ich konnte ihn nicht zurückfahren. Um das Hindernis, welches ich nicht recht sehen konnte, mein Sichtfeld gleicht hier eher einem Sehschlitz, zu umfahren, fuhr ich ein Stück vorwärts, näher an den Ofen heran. Ich schlug das Lenkrad voll ein und wollte gerade rückwärtsfahren, als der Alarm meines Schauflers losging. Erschrocken blickte ich nach vorne und sah, wie der linke Greifarm Feuer gefangen hatte. Ich war zu dicht am Brennofen. Hastig trat ich aufs Gaspedal und holpernd setzte der Schaufler zurück. In sicherer Entfernung zum Brennofen schaltete ich den Schaufler aus, sprang aus der Kanzel, griff zu dem Feuerlöscher, der gleiche neben der Kanzel hang und löschte das Feuer. Doch der Schaden war angerichtet und ich spürte die spöttischen Blicke meiner Kollegen im Nacken. Recht schnell entdeckte ich ein kleines Leck an der Hydraulik Leitung. Das Öl darin hatte das Gelenk des Greifarms benetzt, fing Feuer und die Hitze brachte das Gelenk zum Schmelzen.

Frustriert und beschämt, in meiner ersten Woche den ersten Schaden verursacht zu haben, erklärte ich dem mir zugeteilten Abteilungsleiter, was geschehen war und fragte, was ich nun machen solle. „Ganz einfach: Auseinander bauen, kaputtes Teil in den Wühler werfen, ein Ersatzteil aus dem Lager holen und wieder einbauen“, antwortete York. 


Das war leichter gesagt, als getan. Ich hatte vorher noch nie einen Schaufler auseinander gebaut, was York scheinbar bemerkte, als er grimmig seine Arbeit unterbrach, um mir zu helfen. Dankbar folgte ich seinen Anweisungen, nahm das verformte Gelenk mit zum Lager, wo man mir ein neues aushändigte.

Jedoch nicht ohne, dass ich dieses zu bezahlen hatte. 

„Denkst du etwa, nur weil du neu bist, fallen Ersatzteile vom Himmel? Die Sachen kosten ein Schweinegeld! Also sieh zu, wie du das Geld rankriegst. Als Frischlings-Bonus gestatte ich dir anzuschreiben. Normalerweise kostet dich das zehn Credits pro Tag Verzögerung. Aber da du noch kein Geld bekommen hast, bekommst du bis zum ersten Lohn Aufschub. Ab dann geht dein Zähler los. Und nun scherr dich raus!“ Ich fühlte mich betrogen und ausgenutzte. „Ja Derek ist keiner, mit dem man gerne verhandelt. Er weiß, wie er aus dem Leid anderer Profit schlagen kann. Niemand kann ihn dafür leiden, was ihn aber reichlich wenig kümmert. Und Scar freut sich, dass die Firma nicht auf den Kosten unserer Fehler sitzen bleibt. Sei froh, dass es nur 2.500 UEC sind. Die solltest du schnell zusammen haben“, besänftigte mich York. „Und wie soll ich das anstellen? Ich bin Lehrling! Ich bekomme 5.000 UEC im Monat und davon ging die Hälfte für den Vorschuss wegen Arbeitskleidung drauf. 1.000 UEC zahle ich für meine Bleibe und Essen `fällt hier leider auch nicht vom Himmel´, wie Derek sagen würde.“ York sah mich mitleidig an. „Das ist natürlich doof für dich. Da lässt sich nichts machen, wobei..." Er hielt kurz inne. "Vielleicht hätte ich da was für dich. Heute Abend sollen neue Lieferungen kommen. Wenn du länger bleibst und diese gleich abarbeitest, könnten die Wühler die Teile über Nacht sortieren. Das hieße für meine Leute morgen weniger Arbeit. Und vielleicht würde für dich dabei auch etwas Abfallen“, bot er mir an. Da ich zurzeit jedes Geld gut gebrauchen kann, nahm ich diese Gelegenheit dankbar an. Am wenigsten wollte ich bereits in der ersten Woche zurück zu meinen Eltern dackeln, um nach Geld oder Hilfe zu betteln. Bestimmt würden sie mir, ohne zu zögern helfen. Vielleicht würde ein „Ich habe dir doch gesagt, Origin wäre besser“ - Blick von meinem Vater kommen, aber ich war 15, jung und naiv. Fast erwachsen musste ich doch langsam auf meinen eigenen Beinen stehen können, auch wenn man mal hinfällt. Dann heißt es aufstehen, Kleidung richten und weiter geht’s. So machte ich bereits in meiner ersten Woche Überstunden, um meine Schulden abzuzahlen. Aber immerhin, ich wusste nun, wie man einen Schaufler repariert und durch meine Bereitschaft, nachts zu arbeiten, machte ich mich etwas beliebter und bekannter. Ich war zwar noch immer der Neue, aber wenigstens wussten alle, dass ich nicht sofort zu Daddy renne, wenn es mal Probleme gibt.

Durch die kühlere Nachtluft und die Ruhe, da viele Maschinen standen, war es deutlich entspannter nachts zu arbeiten. Aber auch gefährlicher! Die meisten Lampen wurden im Nachtbetrieb nicht eingeschaltet und anders als am Tag, waren auch deutlich weniger Arbeiter hier, wodurch Hilfe im Notfall erst viel später kam. Angelblich sei es sogar schon vorgekommen, dass nachts jemand verunfallte und erst am nächsten Morgen gefunden wurde, wodurch jede Hilfe zu spät kam. Aber den Gefahren zum Trotz, trat ich meine Arbeit an, drehte Radio Infinity richtig laut auf und genoss jeden kühlen Luftzug. Am nächsten Morgen fand ich einen Umschlag in meinem Spint. Über Nacht konnte ich mir tatsächlich 800 Credits dazu verdienen. Mit der Steigerung meines Rufes bekam ich bereits in der nächsten Woche erneut Möglichkeiten, mir etwas dazu zuverdienen. Ich arbeitete immer öfter nachts und nutzte tagsüber die freie Zeit, mehr von meinen Kollegen zu lernen. Ehe ich mein erstes Geld von Scrapper bekam, konnte ich meine Schulden bei Derek abzahlen, die durch weitere Pannen mittlerweile auf fast 12.000 Credits angestiegen waren. Viel wichtiger war aber, ich wurde erstmals von meinen Kollegen wirklich akzeptiert. Das tat so gut. Früher, in der Schule, wurde ich ständig gehänselt, nur weil ich schlauer war. Hier konnte ich durch mein schnelles Lernvermögen punkten. 

Mit der Zeit lernte ich immer mehr über die verschiedenen Materialien, die wir als Rohstoffe nutzen. Von weichen Kunststoffen, die man gut zum Verkleiden von Zwischenräumen nutzen konnte, bis hin zu widerstandsfähigen Metallen, die ein Raumschiff vor feindlichem Beschuss schützt, hatten wir alles hier. Wenn ich etwas Leerlauf hatte, half ich den Kollegen, um mehr über die Materialien zu lernen oder übernahm Wartungs- und Reparaturaufgaben. Bereits nach den ersten beiden Monaten machte mir meine Arbeit richtig Spaß. Leider fand ich noch immer keinen richtigen Anschluss zu den anderen, aber ich nahm meine Aufgaben ernst, egal was sie mir auftrugen. Teilweise war ich mir ziemlich sicher, dass sie mich mit der einen oder anderen Aufgabe schikanieren wollten oder testeten, wann ich aufgeben würde. Da haben sie sich aber getäuscht! So schnell werde ich nicht aufgeben. Schließlich habe ich einen Traum, eines Tages würde ich an Bord einer Carrack als Techniker arbeiten und die Endlosen Weiten des Weltraums erkunden. 

 

Doch bis dahin habe ich noch einen weiten Weg vor mir . . .